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Geschichte der Sprintrennen

Von Markus Gickler


Der Sprint wurde in unserer Sportart zum ersten Mal 1993 in einem World Cup Rennen ausgetragen. Mittlerweile gehört der Sprint auch zum festen Bestandteil unseres nationalen Wettkampfkalenders. Es ist nun schon zuviel Zeit vergangen, um den grössten Einschnitt in unsere Sportart unreflektiert zu lassen.

Beginnen wir mit einem Rückblick, in dem wir die Abläufe beleuchten, die den Sprint zu einem von der ICF abgesegnetem Bestandteil unseres Wettkampfsaison machten. Von Anfang an lag das Motiv Sprintrennen auszurichten darin, das Produkt Wildwasserrennen besser zu vermarkten und den Einzug ins olympische Programm zu erreichen.

Die Franzosen leisteten die grösste Lobbyarbeit und richteten 1991 auf der Isere den ersten gross aufgezogenen Sprintwettkampf aus. Preisgeld, Discomusik auf der Strecke und gratis Speiseeis bis zum Abwinken waren Reize, denen man schnell erliegen konnte.Es wurden damals Parallelsprints gefahren. D.h. zwei Boote starteten gleichzeitig gegeneinander in zwei Läufen. Die Zeiten wurden addiert und nach dem KO- Prinzip kam der Bessere eine Runde weiter. Ich kann mir leider nicht verkneifen zu erwähnen, dass ich mit den 3000 Franc nach Hause fuhr. Auf der Isere wurde knapp 15m versetzt gestartet und jeder musste einmal hinten starten.

Im darauf folgendem Jahr wurde auf einem Slalomkanal der Rhone ein Art des Startes gefunden, der noch mehr Spektakel versprach. Dieses Ziel wurde voll erreicht und führte dazu, dass keine Parallelsprints mehr stattfanden. Die Startmaschine bestand aus einem Podest, dass in zwei Metern Höhe auf einer Brücke montiert war. Auf diesem Podest waren als Wippe zwei Paketrutschen befestigt, die mit einem Startsystem gelöst werden konnten. Man rutschte dann beim Start in etwa gleichzeitig ins Wasser. Leider war der Start nicht sehr dynamisch, weil alle Boote komplett abtauchten und so die Energie der Startrutsche verpuffte. Das führte nebenbei bemerkt zu sehr interessanten Beobachtungen darüber, welche Kajaks schnell wieder auftauchten. Das ist zwar eine ganz andere Geschichte, das Ergebnis aber wissenswert. Kajaks die flache Oberschiffe hatten, nicht sehr steif waren und in denen schwere Paddler sassen, tauchten mit Abstand am schlechtesten auf. Das alles traf auf mich und meinem Savage 100% zu. Diese Erkenntnis reifte dann zu einem neu gestalteten Oberschiff für die Saison 93. Bis heute bin ich dem Veranstalter dankbar für den grössten Kajaktest, den es je gegeben hat. Doch zurück zum Wettkampf: Der Startaufbau führte unweigerlich dazu, dass in etwa gleich schnelle Paddler miteinander kollidierten. Manche schon beim Auftauchen, den meisten passierte es beim Einfahren in den ersten Schwall. Es gab unterschiedliche Ansätze mit diesem Problem umzugehen. Um nicht als Verlierer aus dem Zusammenstoss hervorzugehen, konnte man sich am anderen Boot nach vorne ziehen. Oder man wählte die Variante, dem Gegner das Paddel auf die Brust zu setzen und und ihn so nach hinten zu drücken. Um einen solch unfairen Versuch der Vorteilsname abzuwehren, blieb dem Benachteiligten nichts weiter übrig, als ebenfalls unmittelbar zuzugreifen. Oder im weiteren Rennverlauf dem Gegner gezielt und kraftvoll ins Heck zu fahren um wiederum in Führung zu gelangen. Diese ungewohnten Stresssituationen führten zum Teil zu recht drastischen Handgreiflichkeiten auf dem Wasser und an Land. Im CII wurde sich mit dem Paddel geschlagen und im KI legten zwei französische Top- Fahrerinnen den Grundstein für eine leidenschaftliche Feindschaft. Kurz gesagt, der Wildwassersport war auf dem besten Wege eine Kampfsportart zu werden. Doch sank bei der Flut dieser vielen telegenen Bildern doch der Mut, den Schritt zu der totalen Kommerzialisierung zu wagen. Ich muss bis heute dieses inkonsequente Verhalten bedauern, wir hätten damit viel Geld verdienen kšnnen, man denke nur einmal an Sendekonzepte wie American Gladiators!

 

Jeder Teilnehmer am Sprintwettkampf wurde von den Lobbyisten beim ICF als potentielles Votum für den Sprint verkauft. Es hat aber nie eine Befragung oder gar eine Abstimmung gegeben. So etwas war nie vorgesehen. Die Regeln wurden geändert und der erste Sprint im World Cup wurde von den Franzosen auf der Dranse ausgetragen, in dem Modus den wir heute kennen. Zum Teil wurden die Ergebnisse auf den Kopf gestellt. Mancher, der es gewohnt war mit seinen Namen ganz oben zu stehen, hatte Mühe sich in der Ergebnisliste wieder zu finden. Unsere Szene polarisierte sich sofort, in die Gewinner und die Verlierer. Wer seine Felle im Sprint davon schwimmen sah, lehnte den Sprint ab. Zu einem lauten Befürworter wurde der, der im World Cup mehr Punkte im Sprint erzielen konnte. An dieser Einstellung hat sich bis heute, in allen Ebenen unseres Sportes, sei es als Sportler, Trainer oder Mannschaftsführer nichts geändert. Es scheint in unserem Wesen zu liegen, auf den persönlichen Vorteil aus zu sein. Zu dem Zeitpunkt war die deutsche Mannschaft wirklich miserabel im Sprint. Einige von uns beschwerten sich beim Resortleiter Wildwasser und verlangten von ihm, bei Mannschaftsführersitzungen gegen die Vergabe von Sprintrennen zu votieren. Unsere Anfrage auf Intervention wurde mit Hinweis auf Sachzwänge abgelehnt. Der Trost blieb, dass die Saison 94 nicht durch den Sprint, sondern durch die nun Classic Race getauften Rennen entschieden würde. Es sollten drei von fünf WC Rennen als Classic Race ausgerichtet werden.

Jedes Jahr gibt es eine Team Leader Meeting bei dem der Wettkampfkalender des nächsten Jahres besprochen wird. Falls es zu mehr Bewerbern kommt, wird abgestimmt. Dabei hat jede Nation eine Stimme- egal wie viele Boote sie an den Start bringt. Für 1994 bewarben sich Slovenien für ein klassisches World Cup. Die Slovenen erhielten den Zuschlag für ein Klassik WC Rennen auf der Soca. Dies wurde offiziell im Protokoll vermerkt. Drei Wochen vor dem ersten WC Rennen erhielten wir Kenntnis darüber, dass auf der Soca ein Sprint gefahren würde. Von offizieller Seite gab es keinen Protest. Die Begründung der Slovenen war schlicht: Das Fernsehen will nur Live übertragen, wenn wir Sprint fahren. Damit kamen die Slovenen durch. Das Fernsehen erschien aber nicht mit Ü-Wagen und Kameras. Das alles unter den Augen von dem ehrenwerten Vittorio Cerini. Teile des deutschen Teams entschlossen sich zu einem Protest. Die Boote wurden mit No Sprint Schriftzügen versehen. Nun geschah etwas unglaubliches. Der Veranstalter drohte mit dem Segen von Vittorio Cerini, mit der Disqualifikation der Sportler, die mit No Sprint Beschriftung starten würden. Zum Glück war zu dem Zeitpunkt Manfred Harzheim unser Delegationsleiter. Die Regeln waren eindeutig auf unserer Seite. Manfred war standhaft und vertrat unsere Interessen. Die wirkliche Unverschämtheit ist bis heute aber noch die Doppelmoral. Sah der ehrenwerte Vittorio sich gestšrt durch unseren Protest und drohte mit Sperrung, so war es ihm völlig egal, dass die Slovenen mit dem Aufkleber einer Zigarettenfirma an den Start gingen. Sogar auf der Siegerehrung wehten die Fahnen mit dem Logo und Hostessen verteilten Probepackungen.

Zum Welt Cup Finale in Bala wurde uns erneut verboten mit No Sprint zu starten. Diesmal ging das Verbot von unserem Resortleiter aus, der eine Konfrontation mit dem ICF vermeiden wollte. Die Drohung lag konkret darin, keine Startnummer auszuhändigen, wenn sich der Aufkleber auf dem Boot befindet. Der O-Ton: "Um Schaden von der Mannschaft zu nehmen kann ich Euch dann nicht starten lassen". Hatten wir nicht schon einen Schaden? Und gehörten wir nicht auch zur Mannschaft? Mittlerweile ist es völlig sinnlos sich gegen die bestehenden Regeln aufzulehnen. Der World Cup besteht aus jeweils drei Sprint und Klassik Races. Wenden wir uns deshalb lieber den Argumenten zu, die für den Sprint sprechen sollen. Die Sportförderung der meisten Länder orientiert sich an den olympischen Spielen. Folglich sieht es finanziell überall ganz schlecht für Wildwasser aus. Der Sprint soll es uns ermöglichen ins olympische Programm zu kommen, damit wir von der Brust der Förderung genährt werden. Da es gewisse Standards gibt, die als Voraussetzung für die Aufnahme in den Schoss der Familie gelten, ist diese Hoffnung eine Utopie.

Vier Gründe zerschlagen diese Hoffnung: 1. Anzahl der Nationen, die im Wildwasser bei Weltmeisterschaften teilnehmen, ist zu gering. 2. Sehr kontraproduktiv ist es auch in unserem Sinne, dass die Anzahl der Olympiateilnehmer aus organisatorischen und ökonomischen Gründen reduziert werden soll. Einige bestehende olympische Sportarten haben Einschnitte zu befürchten. 3. Das IOC zeigt immer deutlicher seine kommerziellen Interessen, unsere Sportart ist im Hinblick auf die Vermarktung im Fernsehen leider eine Nullnummer. 4. Noch nicht einmal in der ICF besteht eine Mehrheit für diesen Antrag. Für den Sprint spricht nur, eine mögliche weitere Verwendung des teuren Slalomkanals. Diese einzige Chance birgt aber eine reale Gefahr. Unsere Sportart wird dann zu einer weiteren Disziplin des Slalom. Es gibt mehr Slalom betreibende Nationen in der ICF. Wenn Slalom eine Ausweitung des olympischen Auftritts realisieren kann, dann wird Slalom diese auch nutzen. Jeder ist auf den persönlichen Vorteil aus.

Haben sich denn wenigstens die vollmundigen Versprechen der selbst ernannten Medienexperten bewahrheitet? Denn laut diesen, sei der Sprint einfach besser im Fernsehen zu übertragen. Dieses Thema setzt einige Sachkenntnissen voraus. Eine Berichterstattung im Fernsehen kann auf zwei Arten erfolgen. Mit einer Liveschaltung wird das Sportereignis in Echtzeit auf die Bildschirme gebracht. Das setzt ein komplettes fahrbares Fernsehstudio voraus, es müssen wetterfeste Plattformen installiert werden um die Studiokameras in Position zu bringen, Strom durch Generatoren und Übertragung per Satellit sind weitere Merkamle. Der technische und personelle Aufwand ist enorm und dadurch extrem teuer. Ein weiterer Nachteil ist: Unsere Startzeiten werden dann fremdbestimmt. Eine WM um acht Uhr morgens mit zwei Minuten Startintervall ist für die Sportler und Zuschauer vor Ort kein Vergnügen und um diese Zeit sitzt an einem Wochenende kein Mensch vor dem Fernseher. Die günstigere Alternative ist die Berichterstattung, die von einem kleinen Team vor Ort aufgenommen wird und die im Studio geschnitten wird. Der Vorteil einer solchen Aufzeichnung ist, die bessere Sendezeit. Diese kürzeren Reportagen werden in Sportsendungen ausgestrahlt, die wesentlich grössere Zuschauerzahlen erzielen. Man spricht dann von der grösseren Reichweite. Diese Reichweite ist der Massstab bei der Vermarktung. Ob Live oder nicht ist völlig nebensächlich. Der Sprint ist auch nicht tauglicher für das Fernsehen. Bei keiner Strecke kann mit einer Kamera Start und Ziel gefilmt werden. Wollen wir spektakuläre Bilder unseres Sports muss die Kamera mšglichst tief positioniert werden. Warum? Eine hohe Kameraposition lässt die Wellenhöhe viel kleiner erscheinen. Mit einer Studiokamera viel schwerer zu realisieren, als mit einer kleinen Betacam. Auch kann kein Fernsehzuschauer unterschiede in der Dynamik zwischen einem Sprint und einem Klassik Rennen erkennen. Ein Sprint bringt deshalb die gleichen Bilder ins Wohnzimmer.

Das Hauptproblem unserer Sportart bei der Fernsehberichterstattung ist die fehlende Reproduzierbarkeit unserer Wettkämpfe. Ein Fussballspiel findet jedes Wochenende statt. Der Radsport hat einen riesen Medienauftritt bei der Tour und fällt dann in ein Loch. Bei uns gibt es die WM- Berichterstattung und dann nichts mehr, eine Folge unserer unglaublich kurzen Saison. Mehr Wildwasserrennen bedeuten für uns eine grössere Wahrscheinlichkeit im Fernsehen präsent zu sein. Und nur hier liegt auch das eigentliche Problem unserer Sportart. Wir haben zu wenige attraktive Wettkämpfe auf nationalem und internationalem Niveau. Deswegen stagniert die Zahl der Wettkämpfer. Ein Teufelskreis, weil für den Ausrichter immer geringere Gewinnerwartungen bestehen, die Motivation einen neuen Wettkampf zu organisieren sinkt.

Der Sprint hat uns da keinen Schritt weitergebracht, im Gegenteil, die selbst ernannten Medienexperten haben dazu beigetragen, dass das Produkt Welt Cup schwerer zu verstehen ist. Klassik, Sprint, zwei Läufe und Addition der Zeiten ist dem Laien schwerer zu vermitteln. Bei kurzen Berichterstattungen ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Auch hat durch den Sprint auch nicht die Zahl der Wettkämpfe oder Sportler zugenommen.

Das zweite und wirklich grosse Problem ist unser Selbstverständnis. Haben wir tatsächlich keine Perspektiven ohne die Teilname an Olympischen Spielen? Wir betreiben eine der schönsten Sportarten der Welt, und dieser Sport war noch nie olympisch. Die Olympiade findet nur alle vier Jahre statt und nur Einer pro Kategorie darf dort starten. Wenn unser Überleben an der olympischen Förderung hängt, dann sind wir schon tot. Es herrscht eine gefährlich destruktive Stimmung. Die Reduzierung unserer Sportart auf Olympia und TV, lässt uns unsere Wurzeln verlieren. Wir sind eine Natursportart. Jeder sollte sich einmal ganz genau überlegen, warum er paddelt. Wenn die Begriffe Reichtum und Starruhm als Motiv auftauchen, dann sollte man schnell die Sportart wechseln. Und wenn unsere Funktionäre sich kein anderes Konzept vorstellen kšnnen, als eine olympische Disziplin zu werden, dann fehlen ihnen die Eigenschaften, die geistige Führer auszeichnen.

Jedem wird klar geworden sein, dass der Verfasser ein erklärter Gegner des Sprints ist. Doch soll deswegen ein Argument für den Sprint nicht unterschlagen werden. Wenn der Sprint Spass macht. Warum nicht? Dieses Argument kann niemand entkräften, weil jeder Spass anders empfindet. Mir hat die Art und Weise, wie der Sprint von einer Kirmesveranstaltung zu einem World Cup Rennen mutierte, keinen Spass gemacht. Und die Erfolgsgeschichte der Sprint Mafia ist noch nicht zu Ende. Mit ihren Bauernfängermethoden werden sie es noch schaffen, den Sprint in das WM Programm zu hieven. Anstelle der Mannschaft. Dabei hätte der World Cup die ideale Plattform für Mannschaftsrennen dargestellt. Sechs Starter pro Nation, bedeutet zwei Mannschaften pro Nation. Geringerer organisatorischer Aufwand, weil Start und Ziel nicht umgebaut werden müssen. Auch zieht sich der Wettkampf nicht über den ganzen Tag. Was besser für das Fernsehen und die Zuschauer ist.

Das eigentliche Fazit der Sprintrennen ist: Mit dem Sprint wird eine kleine Sportart in zwei noch kleinere Sportarten zerlegt. Die Regeln werden komplizierter. Beides ist für eine konsequente TV-Vermarktung hinderlich. Der Vorschlag, in dem nicht WM- Jahr eine Sprint WM auszurichten, klingt nach einem fairen Angebot. Nur bläht es den Etat aller Nationalmannschaften auf. In der jetzigen finanziellen Situation ist das kontraproduktiv. Das dokumentiert deutlich, dass die selbsternannten Experten der Sportvermarktung völlig konzeptionslos sind. Sie verändern eine funktionierende Sportart unter extrem spekulativen Erwartungen. Wer kein Geld hat, sollte erst einmal weniger Geld ausgeben. Zum Beispiel würden die Veranstalter von Weltmeisterschaften gerne den Etat für die ICF Representanten einsparen. Das Veröffentlichen von Zahlen würde deutlich machen, wie gross das Einsparpotential ist. Der norwegische Verband hätte sicher gerne auf die Staffage der ICF bei der Junioren WM verzichtet. Seit dieser WM haben wir aus Norwegen nichts mehr gehört. Warum wohl ?

 

 

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